Liebesbrief an meinen Körper

Gedanklich angestoßen durch die Blogparade von Sandra Hoppenz.

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Ach herrjeh… schon wieder einer dieser gewollten Liebesbriefe an sich selbst, die ach so gut tun sollen. Das ist ja etwas, was man standardmäßig in jedem zweiten Seminar zur Persönlichkeitsentwicklung an sich selber schreiben muss. Beim ersten Mal macht es noch so „Wow!“, wenn die Scham erst überwunden ist. Das zweite Mal war dann bei mir eher ein „Kann ich schon, mach ich einfach.“. Ab dem dritten Mal kam ich in die Richtung „Will ich das jetzt echt noch einmal machen? So wirklich richtig tiefe Wirkung hat es jetzt ja nicht gehabt und ist mehr so ’ne Hausaufgabe. Ach… ich schau mal, ob ich da morgen noch Bock drauf habe.“

Und diesmal ist es die Aufgabe: Liebesbrief an meinen Körper. Ok. Immerhin mal eine andere Perspektive. Einen Liebesbrief an meine Füße habe ich ja schon mal geschrieben und das war wirklich, wirklich schön.

Und jetzt? Jetzt war ich gerade mehrere Wochen echt total krank und bin jetzt zwar nicht mehr bettlägrig, hab aber immer noch unangenehme Schmerzen, Missempfindungen und fühle mich überhaupt nicht fit. Gar nicht in meinem Körper zuhause. Und DEM soll ich jetzt also eine Liebesbrief schreiben. Eine echte Herausforderung.

Na, vielleicht geht es ja gerade dann, weil ich ja eigentlich auf Herausforderungen stehe 😉 .

(An dieser Stelle gebe ich eine Triggerwarnung aus. Ich benenne auch Dinge aus meinem Leben, die beim Lesen schmerzhaft sein könnten.)

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Geliebter Körper!

Du hast ganz schön was mit mir auszuhalten. Du bietest mir nun schon im sechzigsten Jahr ein Zuhause. Und das mit einer Selbstverständlichkeit, die seinesgleichen sucht. Nicht immer tust du es klaglos. Aber ich rechne dir hoch an, dass du mir bisher den Lebensvertrag nicht vollständig aufgekündigt hast. In der Rückschau würde ich sagen, dass es dazu so manchen Anlass gegeben hätte. Nicht, dass ICH dir diesen Anlass gegeben hätte. Verglichen mit anderen, der Welt um uns herum, war ich eigentlich meist ziemlich freundlich zu dir. Jedenfalls hab ich mir Mühe gegeben.

Sicherlich habe ich Dich auch oft vernachlässigt oder war Dir gram. Das möchte ich mir jetzt noch einmal angucken und mein Bedauern ausdrücken. Ein Stück Wiedergutmachung aus Liebe.

Ich spule zurück und schaue in meine Kindheit. Hier scheint alles in Ordnung. Auch wenn ich heute weiß, dass es da Situationen gab, wo Dinge passiert sind, die ich keinem Menschen wünsche. Du hast sie hingenommen und in Deinen Zellen abgespeichert, meine Seele entlastet, damit ich trotzdem eine lebendige Kindheit haben konnte. Danke dafür! Großartige Leistung!

Es kam die Pubertät. Ich weiß nicht, ob es Menschen gibt, die in dieser Zeit nicht irgendwie mit ihrem Körper hadern. Ich bin da relativ gut mit Dir durchgekommen. Vielleicht war ich auch nur zu beschäftigt, um mich lange mit einer körperlichen Mängelliste aufzuhalten? Sicherlich hat sehr geholfen, dass ich einen ersten Freund hatte, mit dem alles einfach wunderbar war. Danke, dass Du, trotz der Missbrauchserfahrungen der Kindheit so neugierig und zur Hingabe fähig warst! Rückblickend würde ich sagen: DAS war die schönste und aufregendste Zeit in Dir. Da war plötzlich alles gut und ich fühlte mich absolut sicher.

Dann kam die Erwachsenenzeit. Ich habe Dir wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Du warst einfach da. Liefest wie am Schnürchen und ließest mich alle Erfahrungen machen, die ich machen wollte. Du hast mich überall hin getragen, mich mit einem hervorragenden Immunsystem und effizienter Muskulatur unterstützt. Du warst gesund, stark, lebendig, schnell und konntest Dich wohlig entspannen. Jedenfalls war es das, was bei mir ankam, wenn ich überhaupt an Dich dachte.

Mit der ersten Schwangerschaft drehte sich unsere gemeinsame Welt. Du hattest mich ausgetrickst und mir einen zweiten Eisprung im Zyklus geschenkt. Ich wähnte mich sicher und Du hast mir das schönste „Ätsch, Denkste!“ meines Lebens geschenkt! Wärst Du nicht so entschieden gewesen, ich weiß nicht, ob ich mich getraut hätte. Mit diesem Geschenk kam aber auch sofort etwas Neues in mein Leben, was ich in unserer Beziehung bisher nicht kannte: Ich horchte ängstlich in Dich hinein, ob auch alles in Ordnung wäre. Ob Du so funktioniertest, wie es das in mir heranwachsende Kind brauchte. Du machtest einen tollen Job und gabst uns beiden immer wieder Sicherheit. Mit großer Langmut konntest Du mich beruhigen und meinem Kind alles geben, was es brauchte, um gesund auf die Welt zu kommen. Es gab in dieser Phase einige heftige Krisen. Ich bin Dir so dankbar!

Dann hast Du Dein Bestes gegeben, um dieses Kind zu nähren. Ich war Dir gram, habe Dir misstraut, weil mein Kind nicht dazu bereit war, dieses Geschenk anzunehmen. Ich habe an Deiner Qualität gezweifelt, habe sein Verhalten Dir angelastet, bin mit Dir verschmolzen zu einem Wir. Dem Wir der Mutter, die nicht gut genug war. Dabei traf Dich keine Schuld. UNS traf keine Schuld. Wir waren total in Ordnung. Und mein Kind war auch total in Ordnung. Niemand von uns war verantwortlich dafür, dass es nicht klappte. Es hatte Ursachen, die außerhalb unserer Macht lagen. Als das klar wurde und ich entschied, dass ich Dich nicht weiter mit Pumpen malträtieren wollte, hast Du einfach „Ok.“ gesagt und uns lästige Brustentzündungen mit einem kompletten Einstellen der Produktion erspart. Das war die reinste Magie!

In den nächsten Jahren war ich zweimal nicht einverstanden mit Dir. Ich wollte Kinder. Du sagtest Nein. Ja zur Empfängnis aber nein zum Geborenwerden. Du nahmst mir die Kinder, löstest sie auf. Im einen Moment waren sie noch da, ich konnte ihr Herz schlagen sehen… und dann war da auf dem Ultraschall nur noch Leere. Ich war entsetzt, habe Dich dafür gehasst. Habe nicht mehr in Dir leben wollen. Schwankte zwischen „Ich habe meine Kinder umgebracht“ und „Du warst es, Du unfähiger Zellensack!“. Es dauerte lange bis ich zur Erkenntnis kam, dass auch hier Deine Entscheidung eine gute Entscheidung gewesen war. Du hattest den Mangel in meiner Beziehung längst erkannt und wusstest, dass hier nicht genug (von was-auch-immer) für mehr Kinder war. Du hast mich davor bewahrt, in eine noch größere existenzielle Krise zu segeln. Und Du hast zwei Seelen für eine Zeit die Erfahrung geschenkt vollkommen bedingungslos geliebt zu werden. Nicht ein Millisekündchen habe ich mit ihnen gehadert. Und meine Liebe ist heute noch da. Nichts hat sie erschüttern können.

Ich springe ein gutes Stück weiter und komme zu einem für mich heute zeitweise noch schmerzhaften Kapitel des Lebens in Dir. Alles schien inzwischen gut, bis es eben nicht mehr gut war. Du hattest mir immer mal wieder gemeldet, dass da etwas in mir nicht in Ordnung war. Ich hatte da schon lange ‚etwas‘ auf dem Bauch, was immer mal empfindlich auf Berührung reagierte. Ich vermutete ein Lipom, das irgendwie auf einen Nerv drückte. Ein Chirurg diagnostizierte jedoch eine Zwerchfellhernie, die man reparieren könnte, vermutlich unter der Geburt entstanden, als Du durch unproduktive Wehen (die nach oben, statt nach unten gingen) versuchtest meinem Kind, das die Nabelschnur zweifach um den Hals hatte, das Leben zu retten. – Hatte ich dafür eigentlich schon mal Danke gesagt? Wenn nicht, dann jetzt: DANKE! Danke, dass Du uns zuliebe eine so schmerzhafte Entscheidung getroffen hast. Es hat Dich dabei zerrissen. Ich kann Dir gar nicht genug dafür danken, dass Du diese Entscheidung getroffen hast. Deine eigene Unversehrtheit hinter das Leben meines Kindes gestellt hast. – Ich springe zurück…

Die nächste Fachärztin brachte dann das gesamte Paket ans Licht. Du hattest einen Tumor an meiner linken Niere wachsen lassen. Die medizinisch Gebildete in mir wusste um die Chancen, dass das nun mit uns gut ausgehen könnte. 95% dieser Gewächse sind bösartig. Überlebensrate 5 Jahre. Uff. Ich war geschockt, verzweifelt aber nur für eine sehr kurze Zeit paralysiert. Dann kam ich ins Handeln. Ich war ja eigentlich schon immer der Überzeugung, dass es gut ist, ab und zu mal mit dem eigenen Körper zu reden. Jedenfalls habe ich das anderen so empfohlen. Nun war also ich dran meine eigenen Empfehlungen umzusetzen. Ich danke Dir für Deine Bereitschaft, so ehrlich Auskunft zu geben und mich in dem nun folgenden Prozess zu unterstützen. Sehr schnell wurde klar, dass Du diesen Tumor aus Liebe zu mir hattest wachsen lassen. Die Was-wäre-wenn-der-Tumor-nicht-da-wäre-Frage wurde schnell beantwortet: Dann hätte ich bis hierhin nicht überlebt. Du hattest vieles, das mir geschadet hatte, hier zur Seite gepackt und eingeschlossen. Du hattest meine Niere dieses Päckchen tragen lassen, damit wir am Leben bleiben konnten. Meine Niere hatte diese Aufgabe bereitwillig angenommen und einen prima Job gemacht. Und: Sie war bereit, jetzt zu gehen. Mit dem Päckchen. Und mir die Aufgabe zu übergeben, die im Tumor schlummernden Themen zu bearbeiten. Das Geschenk, das ihr mir mit einer gewissen Dramatik überreicht habt, hieß ‚Achtsamkeit‘. Ich habe mich ehrlich bemüht, es zu würdigen.

Ich habe Dir sehr genau zugehört, als Du mir zwei Frozen Shoulder beschertest. Aber wie das mit einem Kopf so ist: Er denkt zwar viel herum, es ist jedoch selten etwas Sinnvolles dabei. Und Wahres noch viel weniger. Ich habe mir manches versucht schön-zu-quatschen. Und Du hast dagegen gehalten. Zwischen den Schultergeschichten hast Du mir jede Menge Visionen durch eine Gürtelrose geschenkt. Da war echt kein vermeintlich klarer Gedanke mehr möglich. Verstand komplett ausgeknipst. Du schriest: „Hau ab! Weg! Raus aus dieser Beziehung! Du verbrennst Dich an Deiner gesamten Seele!“ – Und ich wollte einfach nicht auf Dich hören. Ich leiste hier mal Abbitte an Dich: Du bist so viel weiser als ich! Und ja: Manchmal kann ich das gar nicht gut aushalten.

*lächel*

Nun komme ich mit diesem Brief wieder in der Gegenwart an. Du gibst momentan keine Ruhe. Du mahnst deutlich, dass etwas nicht in Ordnung ist. Du bremst, verordnest mir Abgeschiedenheit und Ruhe. Du lässt mich meine Beziehungen neu beleuchten: Wer tut mir… uns gut? Wer eher nicht. Du sagst mir ganz laut: „Nimm es bitte nicht auf die leichte Schulter! Du musst etwas ändern, wenn Du nicht daran zerbrechen willst.“

Ich sortiere. Sortiere aus. Ich nähere mich. Und ich habe Angst. Ich habe noch nicht die Kraft, die vielleicht notwendigen Schritte zu unternehmen. Not-Wendig. Meine Not zu wenden. Meine und Deine Not zu wenden. Bitte sei noch etwas geduldig mit mir. Schenk mir Zeit. Ich höre Dich. Ich nehme Dich ernst. Ich habe nur noch keine Lösung. Und ich weiß ganz sicher, dass an Dir mit irgendwelchen Instrumenten ‚rummachen‘ zu lassen, nicht die Lösung ist. Ich tue das Dir und mir nicht an.

Weil ich Dich liebe.

Von Herzen (wobei das ja eigentlich Dein Part ist, oder?), Cynthia

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