Der Marianne ihr Chef – ABC-Etüde V aus 2/2024

Ewigkeiten hatte Marianne ihm nun damit in die Ohren gelegen, dass sie einen Mitarbeiter bräuchte, der ihr den lästigen Alltagskram vom Hals hielte. Damit sie sich ganz der kreativen Arbeit ihres Ressorts widmen könnte. Ehrlich gesagt hatte er sie mit Wonne ein wenig zappeln lassen. Er mochte es, wenn sie ihn immer wieder aufsuchte, wenn sie auf der gesamten Klaviatur der statusbedingten Unterwürfigkeit vor ihm aufspielte, weil er nun einmal ihr Vorgesetzter war. Leises Bitten, zartes Flehen und auch diese Spur von Feuchtigkeit, die sich an ihrem unteren Lidrand zeigte, wenn sie sich in Verzweiflung hineinspielte, um ihn gänzlich von ihrer Not zu überzeugen. Dann diese Momente, in denen sie ihre Schultern sinken ließ, seinen männlichen Beschützerinstinkt herauszufordern, den Kopf leicht gesenkt, einen kaum wahrnehmbaren Seufzer ausstoßend. Ganz großes Kino! Manchmal hatte sie ihn fast so weit gehabt, dass er ihr Glauben geschenkt hätte. Letztlich hatte er ihrer beeindruckenden Beharrlichkeit nachgegeben. Auch der Tatsache geschuldet, dass in seinem Abteilungsbudget schon lange eine solche Stelle vorgesehen war und er inzwischen seinerseits von seinem Chef gedrängt wurde, die Abteilung endlich wachsen zu lassen. Genaugenommen konnte man also sagen, dass sein Chef verschuldet hatte, dass er Mariannes Wunsch erfüllen musste. Er hatte jedoch nicht vor, sie das wissen zu lassen. Die Lorbeeren wollte er allein für sich einheimsen und sich so ihre Dankbarkeit sichern. Das stärkte seine Position, zumindest strukturell. Er war sich nämlich durchaus darüber im Klaren, dass er Marianne, besonders in fachlichen Dingen, nur selten das Wasser reichen konnte.

Er hatte Marianne mitgeteilt, dass er endlich, nach zähen Verhandlungen mit der obersten Etage, einen Mitarbeiter für sie herausgeschlagen habe. Sie hatte überrascht gelächelt. Das hat auf sein Selbstwertkonto tüchtig eingezahlt. Heute Abend würde er das Eingezahlte verjubeln und in seinem Lieblingspuff die Puppen tanzen lassen. Das hatte er sich ehrlich verdient.

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Mit diesem Text folge ich ein weiteres Mal der Schreibeinladung von Christiane von Irgendwas ist immer, diesmal mit der Wortspende von Werner Kastens ausgestattet. Es ist meine mittlerweile sechste Etüde zu den Worten verschuldet – Unterwürfigkeit – verjubeln und ich bin verblüfft, dass aus meinem anfänglichen Widerstand nun doch so viel gewachsen ist. Dranbleiben lohnt sich also! Danke fürs Zulesen 🙂

(Mehr über Marianne und ihren neuen Mitarbeiter findet Ihr hier.)

13 Gedanken zu “Der Marianne ihr Chef – ABC-Etüde V aus 2/2024

  1. Die Ärmste. Schön, die andere Perspektive. Aber der Typ ist echt ziemlich erbärmlich. Gut geschildert, ich lobe mir wieder mal mein Homeoffice-Dasein.
    Danke dir für die Etüde!
    Abendgrüße ☁️🎶🛋️🍵🍪

  2. So schön fies und da paßt das Puff wie die Faust aufs Aug‘ – so funktioniert das Patriarchat wie geschmiert. Hat M es sich wirklich in seinen Ohren so lange so bequem gemacht ;-?

  3. Alte Taktik: nur Teile der Wahrheit weitergeben. Funktioniert aber auch in beide Richtungen. Bin mal gespannt, wann Marianne ihm mal eins auswischt.

    Schöner Spannungsbogen zwischen den beiden Heuchlern! (Gut geheuchelt ist schon halb gewonnen, ist das unser Zeitgeist?)

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