Herr P. etüdisiert erneut

Herr P. machte Urlaub. Da er sich in der Vergangenheit stets schlecht entscheiden konnte, wohin es gehen könnte, hatte er meist die ihn umgebenden Frauen die Wahl treffen lassen. Das ließ ihm gleichzeitig die Möglichkeit, durch fehlende Mitwirkung am Auswahlprozess, jederzeit berechtigterweise ein wenig missgestimmt zu sein, wenn es ihm am Urlaubsort nicht behagte. Er pflegte dann eine angemessene stille Vorwurfshaltung. Ein bisschen Schuldverteilung sei immer gut, fand Herr P..

Diesmal war die Wahl der Anderen, in diesem Fall seiner Töchter, auf Rom gefallen. Herrn P. war dort alles zu viel: Menschen, Hitze, Geräusche, Gerüche und, obwohl er von sich das Bild hatte, die Geschichte zu lieben, auch zu viel Geschichte, die überall herumlag, erlaufen und betrachtet werden wollte. Herr P. fühlte sich fremd. So erging es ihm häufig, wenn er seinen Geburtsort verließ. Nicht auf die Art fremd, wie es viele Leute anderswo erleben, sondern so als hörte sein Zuhause in seiner Abwesenheit auf zu existieren und er wäre heimatlos. Diese Form von innerer Leere zeichnete aus, dass sie auch ein gutes Essen nicht zu füllen vermochte. Schätzte Herr P. in seinem Dorf die italienische Küche sehr, so wurde sie ihm im Urlaub zur Qual. Er sehnte sich an üppig gedeckten Tischen nach seinem vertrauten Abendbrot, den frugalen Käsekniften.

Wieder daheim angekommen, öffnete er ein Flasche Primitivo, und goß sich ein großzügiges Glas ein. Er bewegte den ersten Schluck durch ausführlich durch den gesamten Mund und zog ihn ein wenig durch die Zähne zur Belüftung, um ihn vollumfänglich zu schmecken. Daraufhin breitete sich langsam ein zufriedenes Lächeln in Herrn P.s Gesicht aus und er schwelgte in den schönen Erinnerungen, die er hätte haben können, wenn er denn nur hätte anwesend sein können… da in Rom.

Die aufmerksame Leserin und der geneigte Leser werden bemerkt haben, dass dies die zweite ABC-Etüde mit der Wörterspende von puzzleblume ist. Die Schreibende lupft den Hut hochachtungsvoll, bedankt sich und wünscht einen entspannten Sonntagabend und einen guten Start in die Woche.

13 Gedanken zu “Herr P. etüdisiert erneut

  1. Ja, so sind manche Reisende. Mein absoluter Lieblingssatz ist dieser: „Diese Form von innerer Leere zeichnete aus, dass sie auch ein gutes Essen nicht zu füllen vermochte.“

  2. Reizüberflutung, daher Rückzug auf das Gewohnte bzw. Sehnsucht danach. In ein paar Wochen wird er behaupten, dass er fast jede Minute genossen hat und sich furchtbar wichtig mit seinen Erlebnissen tun. (Oder nicht?) 😉
    Danke dir für Etüde Nummer zwo, ich bin ganz überrascht.
    Abendgrüße mit Tee 🌘🛋️🍵🍪

      1. Prinzipiell beides, heute Abend eine neu entdeckte Kräuterteemischung 😉
        Ich kenne Leute, die immer was auszusetzen haben, um ihre Überlegenheit zu demonstrieren 😎

  3. Ein Höhlenbewohner 🙂
    Ein wenig bin ich auch so, bis zur Abreise. Dann ist es fast so, als ob ein Schalter im Kopf umgelegt wird, ich finde mich nicht nur damit ab, nun unterwegs zu sein, sondern kann es auch nach einer Weile genießen.

    L.G., Reiner

    1. Ich verreise ja gern UND gleichzeitig ist die Zeit vor der Abreise immer krisenanfällig. Mich packt große Unsicherheit auch bei kleineren Reisen. Sitze ich dann im Zug, Auto oder Flieger bin ich nur noch reine Freude. So ein Schalter im Kopf ist schon ein seltsames Ding. Wem dient der eigentlich? Will er vor Ungemach bewahren?

      Nachdenkliche Grüße von Cynthia

      1. Ein Teil von mir ist wirklich so: Meine Höhle, meine Sippe, schließ die Fensterläden, bring mir das MG (Franz Joef Degenhardt) 😉 Der andere große Teil ist neugierig auf die Welt, wie sie nun einmal ist, möchte die Menschen einschließlich sich selbst besser verstehen lernen. Ein ewiger Widerstreit, aber lebbar.

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