Schnippschnapp

***

Wehmütig schaute sie den nun heimatlosen letzten Zeugen ehemaliger Pracht hinterher, die den scharfen Messer des Barttrimmers ihres Sohnes zum Opfer gefallen waren. Sie hatte sich entschieden, kurzen Prozess zu machen. Die Dinge auf sich zukommen zu lassen, sich in Geduld zu üben, war noch nie etwas gewesen, wodurch sie sich ausgezeichnet hätte. Sie war immer eine gewesen, die lieber die Dinge selbst in die Hand nahm. So auch diesmal. Sie würde jetzt noch einmal in aller Ruhe unter die Dusche springen, den Schweiß der Angst und die juckenden Haarreste abspülen. Dann würde sie in die Küche gehen, den Braten aus dem Herd nehmen und aufschneiden, die Sauce abbinden und alles in die vorgewärmten Schüsseln füllen. Den Tisch für das gemeinsame Abendbrot hatte sie schon vorhin gedeckt. Sie würde sich an den Tisch setzen und darauf warten, dass ihre Kinder, wie vereinbart um 18 Uhr zu Besuch kämen. Sie würde sie mit einem Lächeln empfangen, in ihre erstaunten Augen schauen und ihnen sagen, dass der Krebs zurück wäre.

***

Meine Etüde XI zur Wortspende von puzzleblume. Morgen gibt es dann neue Wörter und ich freue mich schon darauf! Sollte ich in der nächsten Zeit hier Bilder von abgeschnittenen langen Haaren posten, müsst Ihr Euch keine Sorgen machen 😉

Ich wünsche Euch ein schönes Wochenende!

7 Gedanken zu “Schnippschnapp

  1. Oh, ui, uff. Was für ein gelungener Tiefschlag zur Auflösung! Sehr schön! Und auch danke für die Aufklärung, dass du lediglich vorhast, alte Zöpfe abzuschneiden und einen Befreiungsschlag zu führen – ich hätte gefragt. Danke für die Etüde, und auch dir ein schönes Wochenende!
    Morgenkaffeegrüße ☀️⛱️🎶☕🍪

  2. Eine solche Zusammenkunft zum gemütlichen Abendbrot mit dem Haarsignal zu verbinden finde ich trotz des fiktiven dramatischen Anlasses eine gute Idee. Es ist wahrscheinlich schwer genug, einen Einstieg in das Gespräch zu finden.

    1. Für mich wäre das bestimmt der erste Schritt. Neben allem anderen auch noch den büschelweisen Verlust meiner Mähne erwarten zu müssen, in ständiger Anspannung, wann es wohl so weit sein würde… Wenigstens irgendetwas ‚im Griff‘ zu haben, wäre für mich vielleicht über-lebenswichtig.

Hinterlasse einen Kommentar