The Ephemeral Lake

Mal wieder Kunsthallentag mit meinen Zeichenschwestern. Heute konnte ich sie in die aktuelle Ausstellung lotsen. Ein wirkliches Experiment, weil es sich um eine digitale Installation handelte. Also ganz was anderes als das, wozu wir sonst so zeichnen. Ich finde: Das Experiment hat sich gelohnt!

Die Ausstellung geht über zwei Etagen in der Rotunde und im Kuppelsaal der Kunsthalle. Wir haben im Kuppelsaal begonnen. Dort fanden wir eine große Projektionsfläche mittig im Raum und eine kleinere, die die erste quasi kommentierte/ergänzte an der Wand gegenüberliegend. Das hat bestimmt irgendeinen höheren Zweck, den ich aber nicht durchschaut habe. Ich war von dem, was auf der großen Projektionsfläche vor sich ging, restlos eingenommen und fasziniert.

Dazu aber erst einmal etwas Vorlauf, um nachvollziehbar zu machen, was da eigentlich zu sehen war, bevor ich Euch ein paar Standbilder hinwerfe:

Der Künstler Jakob Kudsk Steensen ist bekannt für seine Installationen, die sich mit dem Klima und oft bedrohten Ökosystemen beschäftigen. Er bezieht sich mit seiner für die Kunsthalle geschaffenen Arbeit auf das Werk Caspar David Friedrichs. Ein Kennzeichen dessen Werks ist ja, dass er in der Natur einen Haufen Skizzen machte, die er dann im Atelier collagenhaft zu einem größeren Werk zusammensetzte, das in der Natur so gar nicht existierte. Auch Steensen nutzt diese Technik. Grundlagen für seine Installation sind Scans und Fotographien, die er in der Natur gemacht und die er digital verschmolzen hat. Im Zentrum seines aktuellen Kunstwerks steht das Phänomen der Ephemeral Lakes (flüchtige Seen). Diese Seen bestehen nur temporär jedoch wiederkehrend, z. B. durch Regen- oder Schmelzwasseransammlungen ins sonst trockenen Gebieten. Im Jahreszyklus versiegen sie dann, rudimentäre Restbestände vereisen u. U. und im Frühjahr werden sie dann erneut gefüllt.

Die Installation beeindruckt. Sie zieht mich als Mensch hinein und lässt die Grenzen zwischen dem was ist, was sein könnte und was ich jetzt gerade meine zu sein, verschwimmen. Ich befinde mich über der Wasseroberfläche, dann darunter, erlebe das Fluten und Versiegen, das knisternde Vereisen, werde Teil des Geschehens. Es findet nicht mir vor mir auf einer Leinwand statt, sondern in mir. Je länger ich mich auf die Betrachtung einlasse, desto mehr entsteht bei mir der Eindruck, die Leinwand zu sein. Alles, was ich dort sehe zu sein. Ich bin fasziniert.

Hier ein paar Eindrücke des Gesehenen:

Zum visuellen Eindruck gesellt sich eine klangliche Unterstützung, die ebenso einzigartig ist. Okkyung Lee hat mit ihrem Cello Töne erzeugt, die die Energie, die tief unter der Wüste liegen imitiert. Lugh O’Neill hat eine Komposition auf der Basis von Naturgeräuschen beigesteuert. Und wieder schwingt alles miteinander, trägt einen sanft durch Innen- und Außenwelten und schwillt zu einem gewaltigen, doch für mich niemals unangenehmen Alles-Raum-Klang an, der mich durchdringt, streichelt, wirbelt und manchmal inneren Vulkanausbrüchen gleicht. Als würde man direkt auf der Lava reiten. Hammer!

Nachdem wir genügend Eindrücke gesammelt haben, ziehen wir uns in einen Raum zurück, in dem mehr Licht ist. Hier werfen wir aufs Papier, was in uns berührt wurde. Mit ist total klar, dass ich in keiner Zeichnung einfangen kann, was da gerade geschehen ist. Aber ich kann eine Millisekunde davon berühren und als Erinnerung festhalten:

Alles ist gleichzeitig da. Die Welt über und diejenige unter Wasser. Wie auch alles in uns Menschen immer da ist: Das, was wir nach außen sichtbar zeigen und das, was auch da ist, aber unter unserer Oberfläche schlummert… oder brodelt. In unseren Tiefen verbergen wir unseren Schmerz, unseren Zorn, unsere Ängste, unsere Traurigkeit. Aber wir verbergen auch unser Licht. Das, was wir uns nicht zu zeigen wagen. Das, was uns vielleicht zu kostbar ist, als das wir es der Kritik der Welt aussetzen mögen. Das Licht, das uns in der Vergangenheit Neid und Missgunst eingebracht hat. Oder auch das Licht, dem wir zu wenig zutrauen. Alles ist da. Und es ist UNSERE Aufgabe, es zu spüren, dazu Ja zu sagen und es zu leben.

Zurück zur Ausstellung…

Alles beeinflusst alles in dieser Installation über zwei Etagen. Nichts wiederholt sich. Die gesamte Installation lebt in einem eigenständigen Rhythmus. Sie pulsiert und überträgt dies auf mich und meinen Körper. Der See bekommt eine Art Seele, der die Räume beeinflusst. Nichts von alledem ist vorhersehbar (auch nicht vom Künstler selbst). Wir gehen in die Rotunde, um das Kunstwerk weiter zu erkunden. Relativ unspektakulär hängen dort in Dunkelheit einige von innen beleuchtete Glaskörper. Die Klangbegleitung in diesem Raum ist viel differenzierter. Jedes einzelne Glasobjekt reagiert auf einzelne Charakteristika der Musik.

Diese Athmosphäre lud uns zum Tanzen ein. Und so haben wir unser Stühle und Zeichenmaterialen zur Seite gelegt und unserem Impuls nachgegeben. Mitschwingen, fließen, Teil des Ganzen werden. Nach einer Weile des Ein- und Loslassens, der wirklichen Hingabe, spüre ich es zum ersten Mal. Dieses Eins-Werden. Wenn mein Körper nicht länger reagiert, sondern schon vorher zu wissen scheint, welche Akzente die Musik setzen wird. Eine Übereinstimmung, Gleich-Gestimmt-Sein. Pures Glück!

Und: Ist es nicht auch so, wenn wir das mit Menschen oder anderen Wesen erleben, in der Natur? Wenn es einfach ‚passt‘. Nicht, weil wir etwas gezielt gemacht hätten. Nicht, weil wir einen Plan gehabt hätten, der nun aufginge. Sondern weil wir fähig waren, uns dem Moment voll und ganz hinzugeben. Und dann… Synchronizität und absolute Harmonie.

Falls Euch noch ein wenig Drumherum interessiert, habe ich Euch das Video zur Ausstellung hergeschleppt *ächz*…

Falls jemand meiner geneigten LeserInnenschaft die Ausstellung besucht, bin ich sehr interessiert daran zu erfahren, wie sie auf Euch gewirkt hat. Gern in den Kommentaren. Falls Ihr einen Blogartikel dazu verfasst, gern auch hier verlinken (und natürlich auch gern meinen bei Euch 😉 ).

Bis denne!

2 Gedanken zu “The Ephemeral Lake

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